InkluMa - Inklusion durch Mitarbeitende. Eine Fachkräftebefragung im Rahmen des Modellprojekts "Inklusion jetzt - Entwicklung von Konzepten für die Praxis"

Autor:innen: Carolyn HollwegDaniel Kieslinger, Florian Rück, Wolfgang Schröer

Herausgeber: BVkE, EREV, Inklusion jetzt!

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Ausgangspunkt dieser Befragung ist das bundesweit angelegte Modellprojekt „Inklusion jetzt – Entwicklung von Konzepten für die Praxis”, das erstmals systematisch und über einen längeren Begleitungszeitraum die Erfordernisse einer inklusiven Erziehungshilfe in den Fokus nimmt. In gemeinsamer Verantwortung der beiden konfessionellen Erziehungshilfefachverbände, dem Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen (BVkE) und dem Evangelischen Erziehungsverband (EREV), werden in einem vierjährigen Modellprozess zusammen mit 61 Einrichtungen der Erziehungs- und Eingliederungshilfe, ihren Fachkräften und Adressat*innen inklusive Konzepte für die Praxis entwickelt und erprobt. Das Projekt wird gefördert von der Aktion Mensch Stiftung und wissenschaftlich begleitet durch das Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim.

Hollweg, Carolyn; Kieslinger, Daniel; Rück, Florian; Schröer, Wolfgang (2021): InkluMa - Inklusion durch Mitarbeitende. Eine Fachkräftebefragung im Rahmen des Modellprojekts "Inklusion jetzt - Entwicklung von Konzepten für die Praxis", hg. von BVkE, EREV, Inklusion jetzt! Freiburg i. Br.: Lambertus.

Inhalt

Der Rahmen – das Modellprojekt „Inklusion jetzt!“

Fokus der Fachkräftebefragung: Was  brauchen Mitarbeitende auf dem Weg zu einer inklusiven Erziehungshilfe(-einrichtung)?

Wer hat teilgenommen? Ein Überblick über das Sample der Erhebung

„Inklusion in meiner Einrichtung“ – ein Blick auf den Status Quo

Fachkräfte und ihr Verständnis von Inklusion

Qualifikationen im Team und fachliche Bedarfe

Was braucht es, um Inklusion in den Einrichtungen umzusetzen?

Multiprofessionelle Teams – um Inklusion zu verwirklichen

Fazit  –  Inklusive  Erziehungshilfen  brauchen  eine  Debatte  um Pflege, Unterstützung und Teilhabe

Der Rahmen – das Modellprojekt „Inklusion  jetzt!“

Ausgangspunkt dieser Befragung ist das bundesweit angelegte Modellprojekt „Inklu- sion jetzt – Entwicklung von Konzepten für die Praxis”, das erstmals systematisch und über einen längeren Begleitungszeitraum die Erfordernisse einer inklusiven Erzie- hungshilfe in den Fokus nimmt. In gemeinsamer Verantwortung der beiden konfessio- nellen Erziehungshilfefachverbände, dem Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen (BVkE) und dem Evangelischen Erziehungsverband (EREV), werden in einem vierjährigen Modellprozess zusammen mit 61 Einrichtungen der Erziehungs- und Eingliederungshilfe, ihren Fachkräften und Adressat*innen inklu- sive Konzepte für die Praxis entwickelt und erprobt. Das Projekt wird gefördert von der Aktion Mensch Stiftung und wissenschaftlich begleitet durch das Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim.

 

Fokus der Fachkräftebefragung: Was brauchen Mitarbeitende auf dem Weg zu einer inklusiven Erziehungshilfe(-einrichtung)?

Die bisherigen Erfahrungen aus den Modellstandorten haben gezeigt, dass sich mit der konkreten inklusiven Weiterentwicklung der Einrichtungen auch die damit verbun- denen Herausforderungen in der Alltagspraxis der Fachkräfte fachlich differenzierter abzeichnen. Diese Herausforderungen beziehen sich sowohl auf die jungen Menschen selbst, ihre Eltern und Angehörigen, als auch auf die Organisationsentwicklung der Erziehungshilfeträger. Aus diesem Grund wurde im Modellprojekt gemeinsam eine Fachkräftebefragung entwickelt. Sie soll dabei helfen, die Herausforderungen und Chancen – wie sie sich aus der Perspektive der Fachkräfte stellen – aufzunehmen, um diese Perspektiven der Mitarbeitenden systematisch in die Weiterentwicklung der Erzie- hungs- und Eingliederungshilfeeinrichtungen sowie des Modellprojekts „Inklusion jetzt!“ einbeziehen zu können.

►  Es sollten zum einen die Perspektiven, Zugänge und Wissensbestände der Fachkräfte mit Blick auf das Thema Inklusion in ihrem Arbeitsbereich erhoben werden.

► Zum anderen zielte die Erhebung darauf ab, organisationale Faktoren zu identi- fizieren, die für das fachliche Handeln der Mitarbeitenden im Bereich inklusiver Leistungserbringung förderlich oder hinderlich sein können.

► Aus den Erkenntnissen sollen sowohl Impulse für den Einrichtungsalltag als auch für den weiteren Projektverlauf gewonnen werden.

Die Entwicklung des Fragebogens erfolgte zusammen mit ausgewählten Modellstand- orten des Modellprojekts „Inklusion jetzt!“ sowie Vertreter*innen des Projektbeirats. Ihnen allen einen herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!

Der Fragebogen befindet sich im Anhang. Um möglichst viele Fachkräfte zu erreichen, wurde die Befragung online durchgeführt. Die Online-Befragung fand von Juni bis August 2021 statt.

Die Zielgruppe der Befragung bilden Mitarbeitende in Einrichtungen der Erziehungs- hilfe- und Eingliederungshilfe – sowohl Fachkräfte, die am Modellprojekt beteiligt sind, als auch Fachkräfte, deren Einrichtungen sich nicht am Modellprojekt beteiligen,  aber Mitglied in den Verbänden  des BVkE oder EREV sind. Eine Reduzierung allein auf  die beteiligten Modellstandorte erschien vor dem Hintergrund des Erhebungsinteresses nicht notwendig. Durch die Öffnung der Befragung für alle Mitgliedseinrichtungen von EREV und BVkE sollten eine größere Teilnehmer*innenzahl und gegebenenfalls aufkom- mende Varianzen zwischen Projektbeteiligten und nicht Beteiligten abgebildet werden können. Für alle Fachkräfte war die Teilnahme an der Online-Befragung freiwillig.

 

Wer hat teilgenommen? Ein Überblick über das Sample der Erhebung

Insgesamt nahmen 1.350 Personen an der Online-Befragung teil. Der bereinigte Daten- satz bezieht sich auf n=1039. In diese Berechnung wurden alle Personen einbezogen, die mindestens 80 Prozent des Fragebogens ausgefüllt haben.

Die überwiegende Mehrheit der befragten Personen arbeitet im Bereich der Erzie- hungshilfen (77,2 Prozent). Im Bereich der Eingliederungshilfe sind 9,3 Prozent der Teil- nehmenden tätig. In diesem Verhältnis spiegelt sich die Ausgangslage wider, dass die Mehrheit der Mitgliedseinrichtungen von EREV und BVkE den Erziehungshilfen zuzu- ordnen sind.

Die meisten der befragten Personen arbeiten im Gruppendienst (33,4 Prozent) oder auf der mittleren Leitungsebene, etwa als Fachgruppenleitung (18 Prozent). In der Gruppen- leitung sind 14,9 Prozent tätig. Die höhere Leitungsebene, zum Beispiel die Geschäfts- führung, machen 10,4 Prozent aus. Die Fachkräfte arbeiten vor allem in Trägern mit einer Größe von 301 und mehr Mitarbeitenden (56,7 Prozent). 34,1 Prozent der betei- ligten Träger beschäftigen zwischen 101 und 300 Mitarbeitenden. Nur 9,3 Prozent der Befragten sind bei einem Träger mit einer Größe von unter 100 Mitarbeitenden tätig.

Die mit der Befragung erreichten Altersgruppen sind relativ gleich verteilt. Am häufigsten nahmen Mitarbeitende im Alter von 21 bis 31 Jahren daran teil (28,5 Prozent) sowie Fachkräfte mit einem Alter von mindestens 52 Jahren (27,4 Prozent). Eine deutliche Abweichung findet sich bei jungen Menschen unter 21 Jahren, nur 1,3 Prozent der Befragten ordnen sich dieser Altersgruppe zu.

Insgesamt gaben 66,4 Prozent der Teilnehmenden an, sich dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen, 29,8 Prozent dem männlichen und 0,1 Prozent der Befragten wählten   die Option divers. 2,4 Prozent, das heißt 25 Personen, haben sich keinem Geschlecht zugeordnet.

Da sich die Regelungen zur Leistungserbringung in Jugend- und Eingliederungshilfe  je nach Bundesland stark unterscheiden, wurde auch abgefragt, in welchem Bundes- land die befragten Personen arbeiten. Darunter sind Nordrhein-Westfalen (Westfalen- Lippe 18,8 Prozent, Rheinland 14,9 Prozent) und Baden-Württemberg (21,4 Prozent) am stärksten vertreten. Am geringsten vertreten sind die Bundesländer im Nordosten Deutschlands. Diese Verteilung spiegelt auch die Verortung der im Projekt „Inklusion jetzt!“ beteiligten Modellstandorte tendenziell wider.

An dem Modellprojekt „Inklusion jetzt!“ beteiligt sind insgesamt 46,8 Prozent der befragten Personen. Damit wurde mit InkluMa eine relativ heterogene Gruppe von Mitarbeitenden aus der Erziehungs- und Eingliederungshilfe erreicht. Diese Verteilung ermöglicht es, Varianzen zwischen dem Antwortverhalten der am Modellprojekt beteiligten und nicht daran beteiligten Personen zu erkennen.                                                                                                     

Abb. 1: Zugehörigkeit zum Modellprojekt, n=1007

 

„Inklusion in meiner Einrichtung“ – ein Blick auf den Status  Quo

Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass die Mehrheit der Mitarbeitenden einer inklusiven Ausrichtung ihres Arbeitsbereichs grundsätzlich positiv gegenübersteht. So stimmen 64,9 Prozent der befragten Personen der Aussage zu, dass sie sich vorstellen können, inklusiv zu arbeiten. 46,5 Prozent der beteiligten Fachkräfte gaben sogar an, bereits inklusiv zu arbeiten. Fragen wir nun allerdings danach, wie gut sie sich in ihrer Einrichtung oder durch ihre Ausbildung auf eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe vorbe- reitet fühlen, zeigt sich ein differenzierter Handlungsbedarf. Hier stimmt die Hälfte der befragten Personen der Aussage zu, sich nicht gut vorbereitet zu fühlen (54,1 Prozent in der Einrichtung, 48,5 Prozent durch ihre Ausbildung).

Abb. 2: Vorbereitung auf eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe

Schauen wir hingegen darauf, welche Erfahrungswerte in der Arbeit mit jungen Menschen mit Beeinträchtigungen bereits vorliegen, spannt sich ein weiter Bogen auf. Die Schwerpunkte der bestehenden Erfahrungen liegen vor allem in solchen Beein- trächtigungsbereichen, die in den vergangenen Jahren auch in den Fachdiskussionen der Erziehungshilfen intensiv thematisiert wurden. Deutlich weniger Erfahrungen liegen in der alltäglichen Arbeit mit jungen Menschen mit Mehrfachbehinderungen oder körper- lichen sowie Sinnesbeeinträchtigungen vor.

Abb. 3, Erfahrungen mit jungen Menschen mit Beeinträchtigung, n=795 dabei wurden bei dieser Frage im Durchschnitt Ø 5,59 Antwortoptionen und am häufigsten insge- samt sechs Antwortoptionen ausgewählt.

 

Fachkräfte und ihr Verständnis von Inklusion

Wenn sich schon deutlich eine bestehende Praxis im Umgang mit jungen Menschen mit Beeinträchtigungen abbildet, sich die Mitarbeitenden aber dennoch nicht gut auf eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe vorbereitet fühlen, führen diese Daten erst einmal zu den Fragen: Was verstehen die Mitarbeitenden überhaupt unter einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe? Was fassen sie darunter und was nicht? Worauf meinen sie, vorbe- reitet werden zu müssen?

Zunächst einmal lässt sich herausstellen, dass Inklusion in Bezug auf den eigenen Arbeitsbereich nur selten mit pflegerischen Tätigkeiten in Verbindung gebracht wird. Stattdessen wird am häufigsten die Förderung der Vielfalt (75,1 Prozent), der Selbst- bestimmung (73 Prozent) und der individuellen Potenziale der Adressat*innen (70,1 Prozent) benannt. Assoziiert wird mit Inklusion aber auch der Umgang mit herausfor- derndem Verhalten (69,4 Prozent) und die Ausweitung von Beteiligungsangeboten (61,6 Prozent). Überraschend ist, dass nur 33,3 Prozent der Befragten die Erweiterung bisheriger Zielgruppen mit Inklusion verbinden. Hier müsste reflektiert werden, ob das bedeutet, dass nahezu 70 Prozent der Befragten davon ausgeht, dass sich der adressierte Personenkreis in ihrer Arbeit nicht verändert.

Adressat*innen im Kontext einer inklusiven Öffnung sind nach Angabe der Fachkräfte in erster Linie die jungen Menschen. Etwas geringer ist der Bezug von Inklusion auf   das eigene Team und die Mitarbeitendenschaft. So bedeutet für 58,3 Prozent der Befragten Inklusion in ihrer Einrichtung auch, die Vielfalt der Mitarbeitenden zu fördern. Mit Blick auf die Diskussion um Multiprofessionalität geben 57,8 Prozent der Mitarbeitenden an, bereits mit anderen Professionen zusammenzuarbeiten, wobei an dieser Stelle nicht geklärt wird, welche dies sind.

Abb. 4, Bedeutung von Inklusion für den eigenen Arbeitsbereich, n=870 im Durch- schnitt wurden bei dieser Frage Ø 7,59 Antwortoptionen gewählt.

Qualifikationen im Team und fachliche Bedarfe

Der Blick auf die vorhandenen Qualifikationen im Team verdeutlicht, dass mehrheitlich erzieherische und sozialpädagogische Fachkräfte zum Einsatz kommen, wohingegen eine multiprofessionelle Zusammenarbeit mit Fachkräften aus der Heil- und Sonderpädagogik weniger als ein Drittel der befragten Personen angeben. Unter der Antwortoption

„Sonstiges“ werden vor allem therapeutische als auch hauswirtschaftliche Fachkräfte und Kindheitspädagog*innen genannt. Nachfolgende Abbildung bezieht sich auf die Frage: Welche Qualifikaitonen sind in Ihrem Team vorhanden?

Abb. 5, Qualifikationen im Team, n=780 dabei wurden bei dieser Frage im Durch- schnitt Ø 3,48 Antwortoptionen gewählt

 

Ein Blick auf die Diversität innerhalb des eigenen Teams macht deutlich, dass nur sieben Prozent der befragten Personen in ihrem Kollegium mit Menschen mit Behin- derung zusammenarbeiten. 18 Prozent der Befragten geben an, mit Kolleg*innen mit Migrationshintergrund zu arbeiten, 21 Prozent der Mitarbeitenden haben Kolleg*innen mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen im Team.

Abb. 6: Reflexionsräume im Team

Blicken wir nun darauf, wie diese unterschiedlichen Ressourcen im Team genutzt werden, zeigt sich der Umgang mit den individuellen Stärken und Schwächen der Kolleg*innen als überaus positiv bewertet (81,3 Prozent). Die Mehrheit der Befragten gibt außerdem an, eine offene Fehlerkultur und Reflexionsräume im Team zu haben. Nahezu ein Viertel (24,9 Prozent) von ihnen gibt allerdings auch an, dass die unterschiedlichen Kompe- tenzen der Mitarbeitenden in ihrem Team nicht optimal genutzt werden.

Abb. 7: Leitbild und pädagogische Konzepte

 

Ein Handlungsbedarf zeigt sich auch dann, wenn Mitarbeitende Zeug*innen von Ausgrenzung und Diskriminierung werden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass hier zumindest bei einem Drittel der Befragten nicht genügend Handlungssicherheit gegeben ist, um adäquat reagieren zu können. In diesem Zusammenhang kann auch diskutiert werden, dass über die Hälfte der Befragten angibt, dass nicht alle im Team Benachteili- gungserfahrungen nachempfinden können.

Während die pädagogischen Konzepte und Leitbilder der Mehrheit der Mitarbeitenden bekannt sind (über 80 Prozent), werden sie gegenüber den Adressat*innen als überwie- gend intransparent eingeschätzt. Bezogen auf die Information und Beteiligung junger Menschen und Eltern lässt sich hier ein deutlicher Handlungsbedarf diskutieren.

Richten wir weiter die Aufmerksamkeit über die Ebene des Teams hinaus auf den diver- sitätssensiblen Umgang mit pädagogischen Konzepten. Hier finden vor allem unter- schiedliche Religionen und Weltanschauungen im Regelalltag Berücksichtigung (80,5 Prozent). Deutlich weniger berücksichtigt werden sprachbezogene Barrieren. Darüber hinaus gibt nur ein Drittel der befragten Personen an, mit diversitätssensiblen pädagogi- schen Materialien zu arbeiten. Weiter diskutiert und in den Einrichtungen geprüft werden müsste, ob dies im Umkehrschluss bedeutet, dass die Mehrheit der Mitarbeitenden auf pädagogische Materialien zurückgreift, in denen sich die heterogenen Lebensentwürfe ihrer Adressat*innen nicht abbilden und gesellschaftliche Normvorstellungen, etwa auch bezogen auf Religionen und Weltanschauungen, unhinterfragt reproduziert werden.

Abb. 8: diversitätssensibles Arbeiten, n=776, dabei wurden bei dieser Frage am häufigsten zwei Antwortoptionen ausgewählt.

 

Was braucht es, um Inklusion in den Einrichtungen umzusetzen?

Mit Blick auf die Einrichtung stimmen 22,4 Prozent der Befragten vollkommen, 42 Prozent von ihnen teilweise der Aussage zu, dass diese auf die inklusive Lösung vorbe- reitet ist. Die Mehrheit der Befragten zeigt eine hohe Bereitschaft, inklusiv zu arbeiten (87 Prozent) und die allermeisten Befragten (94,3 Prozent) sind bereit, ihre Kompe- tenzen zu erweitern, um inklusiv arbeiten zu können. Wie weiter oben beschrieben, fühlen sie sich jedoch nicht gut darauf vorbereitet. Daraus lässt sich ein nachdrücklicher Bedarf an Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeitenden ableiten. Wobei auch hier unter Berücksichtigung der aktuellen Arbeitspraxis zu fragen und kritisch zu reflektieren ist, was unter einer inklusiven Arbeit verstanden wird.

Abb. 9: Bereitschaft und Voraussetzungen für inklusives Arbeiten

Insgesamt brauchen die Mitarbeitenden, um Inklusion in den Einrichtungen umzu- setzen, aus ihrer Sicht Klarheit darüber, was dies für ihren Arbeitsbereich bedeutet. In der Befragung zeigt sich, dass für ein Drittel der Befragten unklar ist, welche Verantwor- tung sie in einer inklusiv orientierten Einrichtung hätten.

Es zeigt sich außerdem, dass es vor allem strukturelle Bedingungen sind, die sich den Befragten zufolge ändern müssen, um Inklusion in den Einrichtungen zu ermöglichen. Von besonderer Bedeutung scheint dabei die Frage nach dem Personalschlüssel zu sein, der von 57,6 Prozent der Befragten als sehr wichtig für die Umsetzung des Rechts auf Inklusion eingeschätzt wird und von 26,4 Prozent als eher wichtig. Ebenso spielen für die Befragten die Qualifikation der Mitarbeitenden und die professionsübergreifende Arbeit eine entscheidende Rolle. Zur oben thematisierten Wahrnehmung, dass die Befragten bereit sind, ihre Kompetenzen zu erweitern, korrespondiert auch die Aussage von 65,9 Prozent der Beteiligten, dass sich ihre Kompetenzen zur Umsetzung inklusiver Rechtsansprüche verändern müssen.

Daneben werden insbesondere die Kooperationsgefüge mit den Kostenträgern der Jugend- und Eingliederungshilfe (von über 77 Prozent als sehr wichtig bis wichtig)   wie auch die Entgeltvereinbarungen (von 80,7 Prozent als sehr wichtig bis wichtig) als veränderungsbedürftig eingeschätzt.

Abb. 10: Änderungsbedarfe in der Einrichtung

 

Multiprofessionelle Teams – um Inklusion zu verwirklichen

Besonders auffällig ist, dass bei der Frage der notwendigen Ausstattung und Verän- derung vor Ort immer wieder die multiprofessionelle Zusammenarbeit relevant gesetzt wird, hier von über 80 Prozent der Befragten.

Abb. 11: Ausstattungsbedarfe für mehr Handlungssicherheit, n=795, dabei wurden bei dieser Frage am häufigsten insgesamt fünf Antwortoptionen gewählt.

 

Mit Blick auf die erwünschte Multiprofessionalität sticht vor allem die als notwendig erach- tete Expertise der Sonderpädagogik hervor (72,6 Prozent). Daneben werden insbeson- dere Fachkräfte aus dem Bereich der Heilerziehungspflege (70,9 Prozent), aber auch der Ergotherapie (55,9 Prozent) benannt, die für die Umsetzung inklusiver Leistungsan- gebote als anerkannte Fachkraft tätig sein sollten. Dies korrespondiert mit den Angaben der Fachkräfte, wenig Erfahrungen mit jungen Menschen mit Mehrfachbehinderungen oder körperlichen sowie Sinnesbeeinträchtigungen zu haben. Professionen aus dem Lehramt und erziehungswissenschaftliche Kompetenzen werden dagegen eher als nachrangig eingestuft.

Abb. 12: Anerkennung von Fachkräften, n=760, dabei wurden bei dieser Frage am

häufigsten insgesamt fünf Antwortoptionen gewählt.

Mit Blick auf die notwendigen Kompetenzerweiterungen für eine inklusive Leistungser- bringung werden insbesondere die Bereiche der Hilfeplanung (55,9 Prozent) und der Elternarbeit (55,3 Prozent) relevant gesetzt. Mitunter spiegelt sich darin die Program- matik des Modellprojekts „Inklusion jetzt!“ wider, die in den ersten Praxisworkshops genau an diesen beiden Themenbereichen angesetzt hat.

Auffällig ist, dass hingegen in Themenbereichen wie Selbstbestimmung (22,4 Prozent), Haltung (21,6 Prozent) und Anti-Rassismus (20,7 Prozent)  kaum  Notwendigkeiten der Kompetenzerweiterung gesehen werden, obwohl doch gerade die Förderung der Selbstbestimmung wie oben beschrieben als eine primäre Handlungsaufgabe inklusiver Leistungserbringung erachtet wird.

Abb. 13: Anerkennung von Fachkräften, n=760, dabei wurden bei dieser Frage am

häufigsten insgesamt fünf Antwortoptionen gewählt.

Schließlich stellen die Mitarbeitenden ebenfalls heraus, dass sie selbst stärker an der Entwicklung von Konzepten für ein inklusives Arbeiten in den Einrichtungen beteiligt werden möchten. Die überwiegende Mehrheit der Befragten spricht sich außerdem dafür aus, auch die jungen Menschen und Eltern stärker an der Entwicklung inklusiver Konzeptionen zu beteiligen.

Abb. 14: Handlungsbedarfe in der Einrichtung

Fazit – Inklusive Erziehungshilfen brauchen eine Debatte um Pflege, Unterstützung und Teilhabe

Die Daten legen nahe, dass die aktuellen Herausforderungen, die mit Inklusion verbunden werden, analog zu der Diskussion um das Kinder- und Jugendstärkungsge- setz (KJSG) verlaufen, das im Sommer 2021 in Kraft getreten ist und sich insbesondere auf die Arbeit mit jungen Menschen mit Behinderung und ihren Familien bezieht. Dabei zeichnen die Mitarbeitenden ein differenziertes Bild der Herausforderungen. Sie gehen offen auf eine inklusive Entwicklung zu, zeigen aber auch Fortbildungsbedarfe auf und sehen gerade in den Feldern fachliche Lücken, die sie mit pflegerischen Aufgaben verbinden oder die sie im Bereich der Sonder- und oder Heilpädagogik verorten. Dies kann auch damit erklärt werden, dass nur wenige der Befragten bisher Erfahrungen in der Arbeit mit jungen Menschen mit sogenannten Mehrfachbehinderungen oder körper- lichen sowie Sinnesbeeinträchtigungen haben. In diesem Kontext werden darum auch Erweiterungsnotwendigkeiten der multiprofessionellen Teams gesehen.

Zusammen mit der Auffassung der Befragten, dass insbesondere mehr Sonderpä- dagog*innen als anerkannte Fachkräfte in der Jugendhilfe tätig sein sollten, scheint sich damit allerdings auch die Verantwortung für eine inklusive Leistungserbringung  zu verlagern – sie wird mehrheitlich bei den „Expert*innen“ für Menschen mit Behin- derungen verortet und weniger in den eigenen Tätigkeiten gesehen. Die Zusammen- arbeit mit verschiedenen Professionen sollte jedoch nicht dazu führen, dass Inklusion als „ausgelagert“ und der eigene pädagogische Blick auf die Adressat*innen als unzu- reichend verstanden wird. Es geht vielmehr darum, den eigenen pädagogischen Blick- winkel zu erweitern, um zu reflektieren, wie eine diskriminierungsfreie Teilhabe aller jungen Menschen erreicht werden kann. Generell kann darüber hinaus die Aufforde- rung gelesen werden, dass Verfahren – wie die Hilfeplanung – oder auch grundlegende Aufgaben – wie die Elternarbeit, aber auch pflegerische Aspekte –konzeptionell bislang zu wenig inklusiv entwickelt wurden. Diese Verfahren und Aufgaben systematisch und methodisch nachvollziehbar in ein Verhältnis zur Ermöglichung eines „selbstbestimmten Interagierens“ von jungen Menschen in der sozialen Teilhabe zu setzen, scheint spätes- tens mit der Neuformulierung des § 1 des SGB VIII im KJSG geboten.

Insgesamt unterstreichen die Befragten, dass sie sich am Prozess der Entwicklung inklusiver Einrichtungsstrukturen intensiv beteiligen möchten. Es scheint einen hohen Bedarf an einer konzeptionellen Verortung und an transparenten fachlichen Perspek- tiven der Einrichtungen zu geben, die mit den Mitarbeitenden erarbeitet werden. Darin liegt das Potenzial, um sowohl die vorhandenen Mitarbeitenden für die inklusiven Erzie- hungshilfen weiter- und fortzubilden als auch neue Professionen mit in den Kanon der Belegschaft aufzunehmen. Eine Beteiligung der Mitarbeitenden an diesen Prozessen verspricht einen hohen positiven Effekt, da sich der überwiegende Teil der Befragten wünscht, an organisationalen Prozessen beteiligt zu werden.

Und nicht zuletzt: Mit Blick auf die pädagogischen Konzepte spricht vieles dafür, dass die Akzente aus dem Projekt „Inklusion jetzt!“ richtig gesetzt wurden und dass besonders die Themenschwerpunkte Elternarbeit und Partizipation ins Bewusstsein der Befragten gehoben wurden.